Funktional und schön – ein Schlussstein aus St. Petri

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Bild: Ingmar Luther
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Der Block Ruhrsandstein, den man in Höhe der früheren Häuser Katharinenstraße 4 und 6 fand, sah bis auf seine Größe (Stärke ca. 25 x 50 cm Durchmesser) zunächst aus wie jeder andere. Erst die in den Kellerraum gerichtete Seite ließ aufmerken: Den rundlichen Stein umranken auf der Schauseite Pflanzenranken, wie man sie bei gotischen Bauwerken findet. „Da auch in früheren Zeiten vermutlich niemand extra für seinen Keller solch einen besonderen Stein anfertigen ließ, muss es sich hier um einen gebrauchten Stein handeln, den man noch einmal verbaut hat“, so die Meinung des Stadtarchäologen der Denkmalbehörde.

Orkanschäden

Auf der Rückseite des Steins sind vier Einbuchtungen für Einsätze zu erkennen, in der Mitte ist er durchlocht. Form, Aussparungen und Schmuck deuten darauf hin, dass die Archäologen hier den Schlussstein eines gotischen Kreuzrippengewölbes gefunden haben. Da das schwergewichtige Stück mit großer Wahrscheinlichkeit nicht weit bewegt worden war, könnte es sich um ein ehemaliges Architekturelement aus der nahe gelegenen St. Petrikirche handeln. Die aus dem 14. Jahrhundert stammende, gotische Kirche erlitt ein besonderes Schicksal: Am 14. Dezember 1752 wütete ein Orkan über Dortmund. Die Windböen ließen die über 100 m hohe Spitze des Turmhelms auf das Dach des Kirchenschiffs stürzen. Unter dieser Last brachen die gotischen Gewölbe ein. Zwar baute man St. Petri schnell wieder auf – die Wiedereinweihung fand schon 1759 statt. Allerdings verzichtete man auf die gotischen Kreuzrippengewölbe und zog stattdessen in barocker Manier eine leichtere Decke ein.

Nachhaltigkeit

Was mit dem Schutt aus der gotischen Kirche passierte, ist nirgends dokumentiert. Durch den Fund an der Katharinenstraße wissen wir nun, dass brauchbar gebliebene Baumaterialien offenkundig auch zum Hausbau in der näheren Umgebung benutzt wurden. Da das Steinebrechen und der Transport von Material aufwändig und teuer waren, nutzte man vorhandenes Material immer wieder. Dokumentiert ist, dass die Gebäude an der Katharinenstraße, die letztlich dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer fielen, im 19. Jahrhundert auf alten Fundamten neu errichtet worden waren. Passend dazu waren die Mauerteile oberhalb der Kellerwand aus Backsteinen im sogenannten Reichsformat gemauert. Diese standardisierte Größe war 1872 als Vorläufer der späteren DIN-Normen eingeführt worden und erleichterte sowohl die industrielle Herstellung als auch Preisvergleiche zwischen verschiedenen Anbietern. In der Katharinenstraße hatte man also den Neubau in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert auf Fundamente und Kellerwände eines Altbaus – im Hinblick auf die Datum des Sturmschadens an der St. Petrikirche – aus dem 18. Jahrhundert gesetzt.

Stein mit besonderer Funktion

Aber noch einmal zurück zur ursprünglichen Funktion des Steines. Der Stein passt nach Messungen und Vergleich der Einbuchtungen für die Jochbögen gut zu einem querrechteckigen Joch einer gotischen Kirche, also einem Gewölbeabschnitt, der an den vier Ecken von Pfeilern getragen wird. Die Statik eines solchen gotischen Gewölbes ist ein kompliziertes Kräfteverhältnis aus Druck und Gegendruck. Um es zu bauen, formten die Baumeister damals zunächst ein hölzernes Gerüst, auf das die tragenden Kreuzrippen und das zwischenliegende Mauerwerk aufgelegt werden konnten. Dem Schlussstein kam in einer solchen Konstruktion eine Schlüsselfunktion zu. Mit der Bezeichnung „clé de voûte“ oder „keystone“ – übersetzt: Schlüsselstein – wird im Französischen oder Englischen diese zentrale Funktion noch deutlicher. Erst nach dem Einfügen des Schlusssteins an der Spitze des Gewölbes erhielt das sich nach oben schiebenden Mauerwerk den nötigen Gegendruck und die gesamte Konstruktion ihre Stabilität. Das Gewölbe trug sich nun von allein. Hierzu musste der Schlussstein ein spezifisches Gewicht haben – wie der jetzt gefundene Stein in der Katharinenstraße. Vom Loch in der Mitte des Schlusssteins hing vermutlich ein Leuchter in das Kirchenschiff herab, wie es noch heute in vielen Kirchen der Fall ist.

Quelle: Stadt Dortmund

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